Jahresbericht 2024

«Unser Auftrag ist nach wie vor essenziell»

ABZ-Präsidentin Nathanea Elte und Sabine Merz, Leiterin Bau und Entwicklung, über die Relevanz von gemeinnützigem Wohnraum und die Herausforderungen beim Bauen.

Wir leben in Zeiten von hoher Wohnungsnot. Wie wird sich aus Ihrer Sicht der Wohnungsmarkt in den nächsten
20 Jahren verändern?

Nathanea Elte: Der angespannte Wohnungsmarkt wird anhalten. Entsprechend wird der Bedarf an ­gutem und bezahlbarem Wohnraum bestehen bleiben. Die Menschen werden immer älter, wollen im ­eigenen Zuhause alt werden, der Anteil an Ein- und Zweipersonenhaus­halten nimmt zu. Die ABZ erkennt ­diese Entwicklungen und hat bereits entsprechend ­reagiert.

Sabine Merz: Wir haben etwa unsere Belegungsricht­linien verschärft und fördern in diesem Zusammenhang Umzüge innerhalb unserer Genossenschaft. ­Damit werden grössere Wohnungen wieder frei. Auch prüfen wir effizientere Wohnformen wie das Micro-Co-Living. Dort haben die Bewohner:innen ihren privaten Bereich, teilen aber gewisse Räume mit­einander. Im Gegensatz dazu wohnen viele ältere Menschen in der Schweiz in zu grossen Wohnungen oder Häusern. Da kein bezahlbarer alternativer Wohnraum verfügbar ist, verbleiben sie in ihrem bisherigen Zuhause.

Was bedeuten diese Veränderungen für die ABZ?

Nathanea Elte: Der Zweck der ABZ ist gültiger denn je, und unser Auftrag bleibt essenziell: Wir engagieren uns weiterhin für mehr gemeinnützigen Wohnraum und entziehen den Boden der Spekula­tion. So wie wir es 2024 mit der Siedlung Schlossberg in Winterthur Wülflingen getan haben. Damit können wir noch mehr Menschen guten und günstigen Wohnraum anbieten. Das ist unser Kernauftrag.

Neben dem Kauf von bestehenden Liegenschaften steht für die ABZ das Bauen im Zentrum, um mehr gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen. Bauen wird aber immer komplexer. Warum?

Sabine Merz: Neubauten in der Stadt sind besonders schwierig umzusetzen, weil es an Flächen mangelt und die Bodenpreise hoch sind. Zudem müssen wir günstig und nachhaltig sein und verdichten. Gleichzeitig können wir nicht verdichten, wenn uns zum Beispiel das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) mit neuen Anforderungen konfrontiert. 

Zudem dauern Genehmigungsprozesse bei grossen Projekten oft Jahre. Behörden prüfen Projekte intensiv und Einsprachen verzögern Bauvorhaben zusätzlich. Wir spüren den Widerstand gegenüber Ersatzneubauten und verstehen die Befürchtungen von höheren Mieten oder Gentrifizierung. Daher ist es wichtig, den Mehrwert von zusätzlichem preisgünstigem Wohnraum sorgfältig abzuwägen. Auch Nachhaltigkeitsanforderungen stellen uns vor Herausforderungen. Unser Ziel ist es, innovative, ressourcenschonende und kostengünstige Lösungen zu finden.

Nathanea Elte: All diese Faktoren machen das Bauen in der Stadt teuer, langwierig und komplex – obwohl ­gerade hier dringend mehr Wohnraum benötigt wird. In längeren Planungsprozessen verändern sich die Grundvoraussetzungen, und wir müssen mit einer ­hohen Regeldichte umgehen. Oft ist unklar, welche ­Ziele Priorität haben: Nachhaltigkeit? Verdichtung? Denkmalschutz? Günstige Wohnungen? Die Stadt Zürich verfolgt grundsätzlich das Drittelsziel – bis 2050 sollen ein Drittel der Wohnungen in der Stadt Zürich gemeinnützig sein. Dieses Ziel zu erreichen, ist schwierig, wenn stets neue Anforderungen an Bauprojekte aufkommen. Natürlich sind solche Prozesse wichtig in unserer Demokratie, sie erfordern aber viel Geduld.

«Mit unseren Bauprojekten leisten wir einen nachhaltigen Beitrag zur Wohnraum­versorgung.»

Nathanea Elte, ABZ-Präsidentin

Wie könnten Bauprojekte künftig rascher ­umgesetzt werden?

Sabine Merz: Mit klaren Rahmenbedingungen im Planungsprozess von Anfang an. Denn wenn sich Rahmenbedingungen stetig ändern, können die Bauprojekte diesen irgendwann nicht mehr gerecht werden.

Wie kann sich die ABZ für die einfachere ­Um­setzung von Bauprojekten einsetzen?

Nathanea Elte: Wir arbeiten stets sorgfältig und um­fassend. Wir beziehen Experten und wichtige Interessengruppen mit ein, machen umfassende Analysen und geben Studien in Auftrag, damit wir eine fundierte Entscheidung für die Zukunft unserer Siedlungen ­treffen können.

Wir und unsere Mitglieder sollten klar kommunizieren, wofür wir stehen und wie wir arbeiten – und nachvollziehbar erklären, warum wir bestimmte Ziele verfolgen. Denn es kursieren viele Vorurteile und Fehlinforma­tionen über Genossenschaften in der Bevölkerung und der Politik. Gleichzeitig müssen wir die Herausforderungen benennen und erklären, warum manche unserer Bauprojekte nicht immer so schnell vorankommen, wie wir es uns wünschen, und was wir brauchen, um unseren Auftrag weiter umsetzen zu können.

Politisch setzen sich unser Regional- und unser Dachverband für unsere Branche ein. Bei Wohnbaugenossen­schaften Schweiz sind mit Eva Herzog als Präsidentin eine Ständerätin und mit Manuela Weichelt als Vorstandmitglied eine Nationalrätin vertreten. So können wir auch auf ­nationaler Ebene politische Aufmerksamkeit für unsere Anliegen generieren.

Wenn Sie einen Zauberstab hätten: Wie würde der ideale Wohnungsmarkt aussehen?

Sabine Merz: Bezahlbar, nachhaltig und optimal belegt. Alle wohnen so, wie sie es sich vorstellen, mit einem vernünftigen Flächenverbrauch.

Nathanea Elte: Die ABZ könnte neue Mitglieder aufnehmen und mehr Menschen erreichen, die auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt sind. Dies in lebens­werten Quartieren und mit einer hohen Wohnsicherheit. 

Sabine Merz (links) ist seit September 2020 Leiterin Bau und Entwicklung bei der ABZ, Nathanea Elte (rechts) seit 2017 Präsidentin der ABZ.